Ausschuss beschließt Tempolimits - Expertenmeinung überstimmt

Lingener Tagespost - Lokales
wrog Lingen. Die Sitzung des Verkehrsausschusses der Stadt Lingen am Dienstag war von der Auseinandersetzung zwischen seinen politischen Mitgliedern und den als sachkundige Personen zugewählten Experten geprägt.
Die Experten sprachen sich gegen die von der CDU eingebrachten Anträge zur Anordnung von Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 70 km/h für verschiedene Straßen außerhalb der geschlossenen Ortschaft sowie einer Umsetzung des Ortsschildes Darme auf der Schüttorfer Straße vor die Einmündung der Straße „Zum Heidhof“ aus. Dort alternativ eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf „Tempo 50“ einzuführen, lehnten die Experten ebenfalls ab.
Franz Kleene von der niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr erklärte: „Immer mehr Beschränkungen sind nicht gut. Der Bürger kann das nicht nachvollziehen.“ Zudem lasse die Straßenverkehrsordnung (StVO) Geschwindigkeitsbeschränkungen nur bei Unfallschwerpunkten zu. Genau diese seien aber an den betroffenen Straßen nicht gegeben, erläuterte Kleene und wies auf die von der Verwaltung vorgelegte Unfallstatistik der Polizeiinspektion Emsland/Grafschaft Bentheim hin.
Werner Hartke (CDU) bezweifelte diese Zahlen. „Die sind nicht richtig, das weiß ich aus eigener Erfahrung“, so der Darmer Ortsbürgermeister in Bezug auf die Situation an der Schüttorfer Straße. Stefan Heskamp (CDU) sagte, die Menschen hätten das Gefühl, das zu schnell gefahren würde. „Das kann die Politik nicht ignorieren. Man muss den Anwohnern das Gefühl geben, nicht nur nach stringenten Rechtsvorschriften zu gehen.“
Der Ausschuss beschloss einzig gegen die Stimme von Hans-Arno Bavink (FDP), auf fünf Streckenabschnitten im Stadtgebiet außerhalb geschlossener Ortschaft „Tempo 70“ einzuführen.
Kleene äußerte sich enttäuscht: „Hier zählt nur der politische Wille und nicht mehr der Sachverstand der Fachleute und das, was in der StVO steht.“ Er werde dem Ministerium den Beschluss zur Prüfung vorlegen.
Fahrlehrer Oliver Hasselberg sagte, die Gefahr bei der Einmündung „Zum Heidhof“ auf die Schüttorfer Straße liege nicht am Tempo, sondern in der mangelnden Sicht. Ein Baum verdecke den Autofahrern den Blick Richtung Umgehungsstraße. Nach einer Sitzungsunterbrechung nutzte die CDU-Fraktion diese neue Erkenntnis, um zu beantragen, diese Angelegenheit zurück in den Ortsrat Darme zu weisen. Der Ausschuss folgte dem einstimmig. Peter Supritz (Grüne) hatte dennoch wenig Verständnis. „Es kann nicht sein, dass wir jetzt eine Buche abholzen, die vor fünf Minuten noch nicht zur Debatte stand, nur weil die CDU sich nicht einig ist“, so der Ratsherr.
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Kommentar
Politisches Gefühl gegen Sachverstand
Die Entscheidung des Lingener Verkehrsausschusses, entgegen dem einhelligen Rat der Experten weitere Tempobeschränkungen einzuführen, macht das ganze Dilemma der Politik – gerade in Wahlkampfzeiten – deutlich: die Sorge um das Gefühl der Menschen (und damit um die eigenen Wählerstimmen) überdeckt eine an sachlichen Argumenten geführte Diskussion. Dass damit den Experten vor den Kopf gestoßen und gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen wird, scheint egal. Hauptsache, die Entscheidung kommt beim Bürger vor Ort gut an.
Die Politiker müssen aber erkennen, dass der Grund für diese Situation tiefer liegt. Es ist ihnen in der Vergangenheit offenbar nicht gelungen, die Bürger so zu informieren und aufzuklären, dass populistische Forderungen erst gar nicht aufkommen.
Sollte das Land den Beschluss über Tempolimits im Rahmen seiner Fachaufsicht kippen, wäre das Dilemma perfekt: auf das Gefühl gehört und in der Sache nichts erreicht zu haben.