Lingen will keinen Castor-Tourismus

Lingener Tagespost - Lokales

Lingen. Kommen neue Castoren, die nicht aus dem RWE-Kernkraftwerk Emsland (KKE) stammen, in das Zwischenlager nach Lingen? Nach Angaben des niedersächsischen Umweltministers Stefan Wenzel (Grüne) ist das jedenfalls nicht kategorisch auszuschließen.
Vor diesem Hintergrund und der Frage, ob auch Lingen noch im Rennen um die Aufnahme von 26 Castoren sei, die 2015 aus den Wiederaufbereitungsanlagen in Sellafield und in La Hague zurück nach Deutschland kommen, erinnert unsere Zeitung noch einmal an die Anfänge des Zwischenlagers.

Nachdem am 18. Oktober 2000 der erste Spatenstich für das 50 Millionen DM teure Projekt erfolgt war, versicherte der damalige Vorstandsvorsitzende der VEW-Energie AG, Joachim Adams, dass in dem geplanten Zwischenlager ausschließlich abgebrannte Brennelemente aus dem Betrieb des KKE bis zu deren anschließendem Transport in ein Endlager gelagert würden. Für die hiesigen Bürger würde keine erhöhte Strahlenbelastung entstehen, und es sei auch mit der Stadt Lingen vertraglich festgelegt worden, dass aus dem Zwischenlager kein Endlager werden dürfe.

Nachdem im November/Dezember 2002 das Zwischenlager genehmigt worden war und das Bundesamt für Strahlenschutz entschieden hatte, die Einlagerung des ersten Castors zu genehmigen, klagte Heiner Rehnen, damals für die Grünen im Stadtrat Lingen, im Januar 2003 als erster Bundesbürger gegen ein Zwischenlager.

Rehnen begründete seine Klage mit den gewonnenen Erkenntnissen aus den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und dass auch nicht genügend berücksichtigt worden sei, dass es eine Wechselwirkung und eine damit verbundene „unerhörte Erhöhung der Gefahr“ wegen der weiteren Unternehmen im Industriepark-Süd geben könne. Das Zwischenlager, das KKE, Advanced-Nuclear-Fuels (ANF) und Bärlocher bildeten zusammengenommen ein nicht mehr zu kontrollierendes Gefahrenpotenzial.

Wie Rehnen auf Nachfrage erklärte, konnte die Klage nicht weitergeführt werden, weil die Kosten dafür nicht mehr zu stemmen gewesen seien. „Es war uns zu teuer.“

Steht Lingen nun wieder zur Debatte für einen „Castor-Tourismus“, weil das KKE über das größte Zwischenlager im Lande verfügt und Gorleben als Ziel eventuell nicht mehr infrage kommt?

Dazu hat es bereits im April 2013 ein klares „Nein“ gegeben. Nicht nur vom Oberbürgermeister der Stadt Lingen, Dieter Krone, sondern auch von dem Betreiber des Zwischenlagers, der RWE.

Ein Vertrag verpflichte, dafür zu sorgen, dass nur abgebrannte Brennelemente aus dem KKE im eigenen Zwischenlager gelagert werden.

„Dieser Vertrag hat für mich weiterhin absolute Gültigkeit“, betonte der Oberbürgermeister schon im April 2013. „Das heißt: Im Standort-Zwischenlager Lingen werden auch zukünftig ausschließlich Castoren aus dem KKE zwischengelagert.“

Auch am gestrigen Dienstag erklärte Krone ohne Wenn und Aber, dass das Zwischenlager keine fremden Castoren aufnehmen werde. „Hier werden nur Castoren aus dem KKE zwischengelagert.“

Das bestätigte zeitgleich auch ein Sprecher der RWE: „Für uns ist nach wie vor der mit der Stadt Lingen geschlossene Vertrag aus dem Jahr 2000 bindend.“ Es sei völlig eindeutig, dass das Lager vor rund 13 Jahren nur deshalb genehmigt worden sei, weil ein sogenannter Castor-Tourismus ausgeschlossen wurde und das Zwischenlager ausschließlich für den radioaktiven Abfall des KKE in Anspruch genommen werden dürfe. „Damit ist auch die Rechtslage in dieser Sache eindeutig“, betonte der RWE-Sprecher.

Zurzeit stehen in dem Zwischenlager in Lingen 32 beladene Castoren aus dem KKE. Rund 130 Behälter könnten in der rund 110 Meter langen, 27 Meter breiten und etwa 20 Meter hohen Halle Platz finden.

Blick zurück: Lingener Rat fast einstimmig für das Zwischenlager - Grüne und FDP dagegen –
Namentliche Abstimmung im September 2000

bm Lingen. Im September 2000 hat sich der Lingener Stadtrat mehrheitlich für den Bau des Standort-Zwischenlagers für abgebrannte Brennelemente ausgesprochen. Die Abstimmung ergab 33 Ja-Stimmen, 4 Nein-Stimmen und eine Enthaltung.
Daneben wurde ein privatrechtlicher Vertrag mit der Betreiberin, der Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH, unterzeichnet. Der Rat fordert in dem Vertrag, dass keine messtechnisch nachweisbare Erhöhung der Strahlenexposition am äußeren Anlagensicherheitszaun des Kraftwerkes durch die eingelagerten Behälter und den Betrieb des Standort-Zwischenlagers entstehen dürfe, dass aus dem Zwischenlager kein Endlager werden dürfe und es drittens sichergestellt sein müsse, dass ausschließlich abgebrannte Brennelemente des Kernkraftwerkes Emsland zwischengelagert werden dürfen.
Der damalige Oberbürgermeister Heiner Pott hatte „nach ausführlicher Prüfung“ der Unterlagen empfohlen, den Bauantrag der Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH für das Standort-Zwischenlager zu genehmigen. Bevor es allerdings zu einer namentlichen Abstimmung kam, konnten alle Parteien im Stadtrat zu dem Projekt noch einmal Stellung nehmen.
Bei der Abstimmung im Stadtrat erklärte für die CDU deren damaliger und bereits verstorbener Vorsitzende Werner Schlarmann, dass die Christdemokraten dem Bau zustimmen werden. Allerdings nur mehrheitlich, weil ein Kollege die Auffassung der anderen nicht teile.
„Als das kleinere Übel“ wertete der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Hajo Wiedorn den Bau des Zwischenlagers. Deshalb stimmten auch die Sozialdemokraten dem Bau des Zwischenlagers zu. Zudem sei in einem Koalitionspapier der rot-grünen Bundesregierung beschlossen worden, dass jedes Kraftwerk an seinem Standort Zwischenlagerkapazitäten einzurichten habe.
Eindeutig gegen das
50 Millionen Mark teure Projekt sprach sich der ehemalige Grünen-Ratsherr Heiner Rehnen aus. Seiner Auffassung nach sollte man verstärkt auf regenerative Energien setzen und alle weiteren Anstrengungen in die Speichertechnologie setzen.
Auch die FDP, heute Liberale Fraktion im Stadtrat, sagte eindeutig „Nein“ zu einem Zwischenlager. Jens
Beeck kritisierte die Nutzung der Kernenergie als einen der dramatischsten Fehler, die je bei der Energieversorgung gemacht worden seien. Auch er plädierte für den vermehrten Einsatz alternativer Energien.
Robert Koop, heute Fraktionsvorsitzender der Bürgernahen (BN) und damals in der SPD, bezeichnete den Bau des Lagers als „konsequent“. Man könne auf der einen Seite nicht die Gewerbesteuer einstreichen und auf der anderen den Atommüll fremden Dritten überlassen. Wie schon andere zuvor plädierte Koop für einen Rückzug aus der Kernenergie.